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„AArtist-in-Residence“ – Das Auswärtige Amt fördert den ägyptischen Künstler Ahmed Kamel
2016
Magdalena Süß
kairo.diplo – Website


Interview mit Ahmed Kamel
2016
Magdalena Süß
kairo.diplo – Website


Aussichten und Einsichten
2016
BEATE SCHEDER
Taz – Tageszeitung


Cundkgalerie – Webseit
2016
AArtist in Residence – Ein Programm des Auswärtigen Amts (AA) in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Berliner Galerien (lvbg)


Sight/Spiral. Ahmed Kamel
Andreas Rauth
2016
Jitter – Online magazin


2008
Von Bausteinen und Versprechen. Ein Entwurf.
Eva Bertram


„AArtist-in-Residence“ – Das Auswärtige Amt fördert den ägyptischen Künstler Ahmed Kamel
2016
Magdalena Süß
kairo.diplo – Website

Seit Ende Oktober arbeitet der ägyptische Künstler Ahmed Kamel in seinem neuen Atelier – einem Raum auf dem Dach des Auswärtigen Amts in Berlin. Dieser außergewöhnliche Ort wurde ihm für drei Monate im Rahmen des Stipendienprogramms „AArtist-in-Residence“ des Auswärtigen Amts in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Berliner Galerien zur Verfügung gestellt. Grenzüberschreitende Kunst und die Förderung der Kommunikation verschiedener Kulturen – so lautet das Ziel dieses Programms, das im April 2016 gestartet ist. Es gibt jährlich drei Künstlern die Möglichkeit, ihre Werke dort anzufertigen und diese danach in einer Ausstellung zu präsentieren. Von einer unabhängigen Fachjury werden entweder Künstler aus dem Ausland oder deutsche Künstler, die sich in ihrer Arbeit auslandsverbunden zeigen, ausgewählt. Ahmed Kamel ist nach den beiden deutschen Künstlern Andreas Lang und Kerstin Honeit der erste ausländische Künstler, der sein Atelier im siebten Stock des Auswärtigen Amts bezogen hat. Dieses Programm ist das erste Inhouse-Residenzprogramm eines deutschen Ministeriums und soll eine grenzüberschreitende kulturelle Zusammenarbeit fördern, indem ausgewählten Künstlern ein inspirierender Raum für Innovation und Kreativität gestellt wird. Berlin, ein Ort der Gegensätze, Vielfalt und Modernität, gilt zugleich als Kulturmetropole, in die internationale Künstler kommen, um ihre Werke auszustellen oder anzufertigen. Das Dach des Auswärtigen Amtes mit Blick über diese kulturell geprägte Stadt und internationalem Zentrum bietet dafür eine einzigartige Möglichkeit.

Ahmed Kamel, der in Kairo Kunstwissenschaft im Bachelor und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Fotografie/Bewegte Bilder im Master studiert hat, lebt und arbeitet seit 2008 in Berlin und Kairo. Er ist international tätig und beschäftigt sich auch in seinen Arbeiten mit Interkulturalität, Diversität und Interreligiosität. Im Rahmen seines Films „Über das Paradies“ ging er beispielsweise auf zwei Pilgerreisen nach Mekka und Medina, sowie nach Santiago de Compostela, um die Paradiesvorstellungen von Muslimen und Christen zu hinterfragen und um Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. In seinem aktuellen Projekt „Ungeschehen“ steht das Thema Konflikt im Zentrum. Dabei stellt er den Einfluss des Regimes auf die Wahrnehmung eines Einzelnen und einer ganzen Gesellschaft sowie die damit verbundene und immer vorhandene Manipulation auf verschiedene Weise dar. Neben Videos, auf denen zu sehen ist, wie Fußspuren verwischt oder Tagebücher und somit Erinnerungen verändert werden, wird es ein großes Gemälde, eine Fotoserie und ein Kunstwerk aus Metall geben.

Seine im Auswärtigen Amt erstellten Werke werden am Ende seines Arbeitsaufenthalts in einer Abschlussausstellung präsentiert und man darf auf das Ergebnis gespannt sein.


Interview mit Ahmed Kamel
2016
Magdalena Süß
kairo.diplo – Website

Interview mit Ahmed Kamel
Guten Morgen, ich treffe Sie hier in Ihrem derzeitigen Atelier im obersten Stock des Auswärtigen Amts mit einem Blick über Berlin. Inspirieren Sie die Orte, an denen Sie arbeiten?
Auch, wenn ich eigentlich keinen großen Wert darauf lege, an welchem Ort ich arbeite, inspirieren sie mich doch. In der Schweiz habe ich beispielsweise an meinem ersten Projekt zum Thema „Konflikt“ gearbeitet. Mein Atelier war ein großer Raum mit einer hohen Decke und nur einem Tisch in der Mitte. Das war ziemlich deprimierend und hatte mich beeinflusst. Aber auch in der Studienzeit, als ich in den Straßen Kairos im direkten Kontakt zu der Bevölkerung gearbeitet habe, hat das Einfluss auf meine Arbeit gehabt. Hier ist der Blick über die Stadt das Besondere.

Sie nehmen am Programm „AArtist in Residence“ teil. Können Sie mir das Projekt beschreiben, an dem Sie in diesem Rahmen arbeiten?
Mein Projekt heißt „Ungeschehen“ und wird aus verschiedenen Arbeiten aus unterschiedlichen Medien bestehen. So arbeite ich schon seit einigen Jahren. Das Interessante daran ist, dass man anders denkt und ganz anders mit den einzelnen Medien umgeht. Eine Zeichnung ist zum Beispiel ein direkter, kurzer Weg im gedanklichen Prozess, wohingegen ein Video einer ganz anderen Logik folgt, um ein Ziel zu erreichen. In diesem Projekt gibt es unter anderem ein dreiteiliges Gemälde, eine Installation aus einem Spiegel und Worten, ein fotografisches Motiv und eine Installation aus zwei Monitoren mit Bildern einer Überwachungskamera und einem Tagebuch. Sie beleuchten alle das Thema Konflikt von verschiedenen Seiten. Der Schriftzug vor dem Spiegel lautet „Internal Conflict – with the Other“. Ein innerer Konflikt mit einem selbst hat auch immer etwas mit den Anderen zu tun. Konflikte können außerdem ganz unterschiedliche Formen annehmen: politisch, persönlich, emotional oder gesellschaftlich. In meiner Ausstellung werden Wiederholungen das Motiv der Propaganda widerspiegeln. Ein Foto, auf dem ein Fernseher in einem Wohnzimmer zu sehen ist, wird auf zwanzig Postern und 20.000 Flyern wiederholt werden. Und auch die Zensur spielt eine wichtige Rolle in meinem Projekt. Der Text auf einer Leinwand ist zensiert und sehr viele Wörter im Tagebuch gelöscht, sodass niemand mehr herausfinden kann, was vorher dort gestanden hat.

Ihr derzeitiger Schwerpunkt liegt auf dem Thema „Konflikt“. Wie sind Sie dazu gekommen und wurden Sie dabei von der Ägyptischen Revolution ab 2011 beeinflusst?
Zunächst lag mein Fokus auf gesellschaftlichen Themen. Erst ab 2010 habe ich mich mit dem Thema „Konflikt“ beschäftigt. Das war also schon vor Beginn der Revolution. Bei mir geht es um Konflikte auf allen Ebenen und nicht nur um die politische. Und doch war die Revolution ein Schock für mich, den ich erst einmal verarbeiten musste. Das Projekt „Sight“, das Bilder von Menschen zeigt, die ihr Augenlicht teilweise oder ganz durch die Ägyptische Revolution verloren haben, ist das einzige Projekt, das sich direkt mit dem Umbruch beschäftigt. Natürlich hat auch das aktuelle Projekt damit zu tun, ich möchte aber nicht, dass es spezifisch darum geht. Die Motivation kommt zwar teilweise daher, aber es passiert überall.

Hat sich die ägyptische Kunstszene Ihrer Meinung nach dadurch verändert und welche Rolle spielten die Künstler bei der Revolution?
Ich denke, die ägyptischen Künstler haben einen Beitrag geleistet, aber ob dieser direkt oder indirekt war, kann ich nicht sagen. Aber jeder Künstler, der sich für Politik interessiert, kann schon durch ein gutes Theaterstück oder etwas anderes eine Wirkung haben, ohne eine direkte Botschaft hervorzubringen. Leider wird der Spielraum für Künstler aus diesen Gründen immer weiter eingeschränkt. Zwar ist die Kunstszene dadurch etwas geschrumpft, aber sie ist immer noch sehr aktiv und es gibt viele Leute, die versuchen, sie am Leben zu halten.

Sind Sie einer von ihnen, die sich für einen Erhalt der Szene einsetzen?
Ja, ich habe das Gefühl, dass eine Art persönliche Verantwortung auf meinen Schultern liegt. Ich habe mich gefragt, wie ich helfen kann und wie ich wirklich etwas für meine Heimat tun kann. Ich bin zwar kein politischer Aktivist, sondern ein Künstler, bei dem die Politik eine untergeordnete Rolle spielt und doch möchte ich etwas verändern. Ich möchte ein besseres Verständnis zwischen den Kulturen herstellen und Missverständnisse abbauen, da Konflikte häufig daraus entstehen. Deshalb gründe ich gerade mit einem Team mit ganz unterschiedlichem Background den Verein „Zuker“. Er ist eine arabisch-europäische Kulturkooperation, die die arabische Kultur nach Europa bringen soll und andersherum. Der Fokus wird auf Fotografie und Film liegen, mit denen wir unterschiedliche Themen bearbeiten werden. Das erste Projekt soll ein Video-Workshop zwischen Berlin und Kairo sein, wobei ein geeignetes Thema „Fremdheit und das Familiäre“ sein könnte. Dadurch, dass ich in beiden Ländern lebe, habe ich ein Verständnis für hier und dort entwickelt und möchte mit meiner Arbeit auf beiden Seiten etwas in der Kunstszene bewirken.
Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg und vielen Dank für das Interview.


Aussichten und Einsichten
2016
BEATE SCHEDER
Taz – Tageszeitung

ATELIERBESUCH Ahmed Kamel arbeitet als „AArtist in Residence“ auf dem Dachboden des Auswärtigen Amtes. Er widmet sich dem Thema Konflikten im Allgemeinen – politischen wie persönlichen

Selbst wer die arabische Schrift und Sprache beherrscht, kann ihn nicht lesen, den Text, den Ahmed Kamel mit weißem Stift auf schwarzen Grund geschrieben hat. Alle relevanten Wörter sind mit dicken Balken durchgestrichen, ganz so, als handle es sich um ein brisantes Dokument. Ob dem so ist? Der Künstler hält sich bedeckt und überlässt die Deutung seinen Besuchern. Von denen hat der Künstler in letzter Zeit viele in seinem Studio, denn das befindet sich an einem sehr speziellen Ort mit der vielleicht besten Aussicht der Stadt: hoch oben auf dem Dachboden des Auswärtigen Amtes.

Für Kamel war es jedoch weniger die Aussicht als das Gebäude an sich, dessen Geschichte als Sitz der Reichsbank, des Zentralkomitees der DDR und schließlich des Auswärtigen Amts, die ihn reizte. Außerdem dieser seltsame bislang funktionslose Ort innerhalb des hochoffiziellen Komplexes, der nie richtig fertiggestellt wurde und Kamel nun als Atelier dient. Die Renovierungsmaßnahmen nach der Wende kamen unterm Dach nie an. Der Raum wurde als Möbellager genutzt.

Das sieht man ihm auch an: Kabel hängen offen an der Decke, die Wände sind nicht verputzt. Repräsentativ ist der Raum nicht, aber das soll er auch nicht sein, vielmehr ein Freiraum für Kunst. Kunst- und Künstlerförderung ist für das Auswärtige Amt an sich nichts Neues. Bislang geschah das jedoch primär über Institutionen wie das Institut für Auslandsbeziehungen oder die Goethe-Institute und in der Regel im Ausland.

„AArtist in Residence“ lautet der Name des Programms, das in diesem Jahr offiziell gestartet ist und nun regelmäßig Kunstproduktion in den Räumlichkeiten des Auswärtigen Amtes fördern soll. Ahmed Kamel ist einer der Stipendiaten, aber nicht der erste Künstler, der das Studio unterm Dach bezogen hat. Die Idee ist eigentlich schon ein paar Jahre alt, 2008/2009 hatte der Maler Michael Ramsauer dort oben gearbeitet. 2015 wurde die Idee wieder aufgenommen, und es gab einen weiteren Testdurchlauf mit Maler und Bildhauer Detlef Waschkau. In diesem Jahr, im offiziellen Residenzprogramm, kamen drei Kandidaten nacheinander für jeweils drei Monate an die Reihe. Zunächst Andréas Lang, danach Kerstin Honeit und seit Ende Oktober Ahmed Kamel.

Ausgewählt wurden Künstler, die in ihrer Arbeit entweder einen starken Bezug zum Ausland haben oder aus einem anderen Land stammen und in Berlin leben und arbeiten. Und die von einer Berliner Galerie vertreten werden – Kooperationspartner ist der Landesverband Berliner Galerien. Dieser schlägt Künstler vor, die dann von einer unabhängigen Fachjury ausgewählt werden.

Das Konzept geht auf. Die Kunst aller drei Stipendiaten bietet Anknüpfungspunkte zum Ort, seiner Funktion, seiner Geschichte – mit durchaus kontroversen Themen. Andréas Lang, der zur Kolonialgeschichte Deutschlands forscht, nutzte intensiv die Archive des Auswärtigen Amtes zur Vorbereitung seiner Einzelausstellung, die momentan im Deutschen Historischen Museum läuft. Video- und Installationskünstlerin Kerstin Honeit arbeitete im Atelier an einem Projekt über Repräsentationsarchitektur, inszenierte einen Kaffeeklatsch: Arbeiter, die am Bau des Palastes der Republik mitwirken, treffen auf die, die an dessen Rückbau und am Stadtschloss werkeln.

Das eindrucksvollste Objekt ist ein Paket an Schreibheften, fest mit Draht umwickelt

Bei Kamel ist der Einfluss des Ortes auf seine Arbeit weniger offensichtlich. Direkt verändert habe er sie nicht, meint er, inspiriert aber definitiv. Man kann es sich vorstellen, allein schon die strengen Sicherheitskontrollen und Regeln des Hauses müssen bei einem Künstler wie ihm Eindruck hinterlassen.
Kamel, geboren 1981, arbeitet multimedial, oft zeichnerisch, mit Fotografie oder Video in seiner Geburtsstadt Kairo und in Berlin. Die aktuelle, ebenfalls multimediale Serie, mit der er begann, als er für das Programm ausgewählt wurde, trägt den Titel „It didn’t happen (Ungeschehen)“. Darin beschäftigt er sich mit dem Thema Konflikt im Allgemeinen, persönlichen wie politischen. Zudem thematisiert sie die Manipulation der Wahrnehmung, das Verwischen von Spuren. So wie in dem eingangs beschriebenen Gemälde, das im Atelier als Teil eines Triptychons hängt.

Für das Auslöschen, zum Beispiel der eigenen Vergangenheit, hat Kamel noch weitere Bilder gefunden, die man dort besichtigen kann. Das Eindrucksvollste ist ein Objekt, ein Paket an Schreibheften, fest mit Draht umwickelt. Seine Tagebücher seien das, erzählt Kamel und dass er die Texte allesamt mit Tinte geschwärzt hätte, bevor er das Bündel schnürte. Verloren sind die Inhalte jetzt für immer, nur die Erinnerungen im Kopf sind noch da – und die Zweifel.
Fast ist die Installation komplett, nur die Videos fehlen noch. Wer sich für den Atelierbesuch am 19. Januar anmeldet – E-Mail an AArtist@diplo.de genügt – kann sie gewiss sehen.


Cundkgalerie – Webseit
2016
AArtist in Residence – Ein Programm des Auswärtigen Amts (AA) in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Berliner Galerien (lvbg)

Im Rahmen dieses einzigartigen und vorbildlichen Programms wird drei Künstlern im Jahr die Möglichkeit gegeben, im obersten Stockwerk des Auswärtigen Amts Berlin in einem extra hierfür zur Verfügung gestellten Dach-Studio in Ruhe zu arbeiten und spezielle Projekte zu realisieren. Die Kulturpolitik des Auswärtigen Amts möchte ihr Anliegen, Kulturen zu vernetzen, Dialog und Verständigung zu fördern, u.a. durch diese Initiative vorantreiben.
Wie wichtig dies selbst in dem liberalen Berlin ist, wird mir bei einer Sonderführung eines der Stipendiaten deutlich. Ahmed Kamel stellt seine Arbeiten vor, spricht von seiner Beschäftigung mit Identität und deren Auslöschung. Er spricht über die präsentierte Schwarz-Weiß-Leinwandarbeit, die er in arabischer Schrift mit einem persönlichen Text beschrieben hat, wobei er dann jedes zweite Wort mit weißer Farbe durchstreicht. Der Text ist nicht mehr entzifferbar. Ähnliches hat er mit seinen Tagebüchern vor, die er auslöschen will, indem er sie zu einem Objekt umformt. „Ungeschehen“ heißt diese Arbeitsreihe, in der er grundlegende menschliche Sehnsüchte und Hoffnungen reflektiert. Er arbeitet ganz Zeitgenosse multimedial und konzeptionell und gibt seine Erklärungen in einer mittlerweile globalen Sprache der Kunst ab.
Als das Publikum Fragen stellen kann betretenes Schweigen, nur eine einzige Frage kommt auf:
Sie kommen aus einem muslimischen Land, spielt Religion eine Rolle in Ihren Arbeiten? Ich falle fast um. Wie sehr haben sich da die undifferenzierten und teilweise populistischen Sichtweisen hinsichtlich der Flüchtlingspolitik und die Schwarz-Weiß-Muster hinsichtlich der muslimischen Religion schon in die Köpfe gebohrt?
Es gab in der gesamten Vorstellung seiner Sichtweisen oder konkret in den präsentierten Arbeiten nicht das geringste Anzeichen für eine Beschäftigung mit religiösen Themen bei diesem Künstler.
Wäre er ein Däne oder Amerikaner, niemals hätte der Besucher diese Frage nach der Religion gestellt.

Auf die Terrasse heraustretend entfaltet sich die Weite der Stadt.


Sight/Spiral. Ahmed Kamel
Andreas Rauth
2016
Jitter – Online magazin

Der in Berlin lebende ägyptische Künstler Ahmed Kamel zeigt in seiner Ausstellung in der Galerie erstererster das Fotoprojekt Sight und die Installation Spiral.

In der Fotoarbeit nimmt der Künstler Bezug auf die gescheiterte ägyptische Revolution von 2011. Kamel portraitiert in dieser Serie Menschen, die während des Aufstands ihr Augenlicht teilweise oder ganz eingebüßt haben. Dabei zeigt er sie zusammen mit einem Verwandten oder Partner und in vertrauter Umgebung.

Die Installation Spiral, für die Kamel Video und Zeichnung verwendet, reflektiert gesellschaftliche Prozesse hingegen in abstrakter Form. Die Spirale begleitet als Urform die Menschheit seit Jahrtausenden; in ihr kommt das Prozesshafte des Lebens zum Ausdruck, die Idee fortschreitender Entwicklung unter den Bedingungen der Wiederholung. Es eignet ihr aber auch eine gewisse Unbedingtheit, ja Zwanghaftigkeit, was nicht zuletzt in der Rede von der »Spirale der Gewalt« zum Ausdruck kommt.

Eine neue, großformatige Arbeit in Acryl auf Leinwand, die den Titel Ungeschehen trägt, und ebenfalls grundlegende menschliche Sehnsüchte und Hoffnungen adressiert, ergänzt die Ausstellung.

Ahmed Kamel (*1981) studierte Malerei (BA) an der Helwan University in Kairo und Fotografie/Bewegtbild (Master) an der HGB Leipzig. Teilnahme an zahlreichen Film- und Fotografie-Workshops, Artist in Residence bei Mediamatic, Amsterdam, NL; ProHelvetia Bern, CH; NRW, Düsseldorf, DE und Amongst Neighbours, Istanbul, TR. Einzel- und Gruppenausstellungen im arabischen Raum und Europa, u.a.: Contemporary Image Collective (CIC), Cairo; The Townhouse Gallery, Cairo EG; Brandts Museet for Photo Art, Odense, DK; East Wing, Dubai, UAE and Folkwang Museum, Essen, DE. Seit 2008 lebt und arbeitet Ahmed Kamel in Kairo und Berlin. Zur Zeit ist er Artist in Residence des Auswärtigen Amts.


2008
Von Bausteinen und Versprechen. Ein Entwurf.
Eva Bertram

Ahmed Kamels Fotografien von im Bau befindlichen Randbezirken der Millionen-Metropole Kairo sind menschenleer, meist nachts im diffusen Licht der vorhandenen Straßenbeleuchtung oder in der Dämmerung aufgenommen.
Manche der Bilder sind unheimlich.
Nur eine Straßenleuchte dient als Lichtquelle. Rohe Fassaden sind durchsetzt mit dunklen, rechteckigen Hohlräumen da wo sonst erleuchtete Fenster Leben vermuten ließen. Ein überproportional großer Strommast wächst in den schwarzen Himmel bis über den Bildrand hinaus.
Manche der Bilder sind komisch.
Palmen und Sträucher – oder was von ihnen noch übrig ist – stehen in Reih und Glied schon einmal da, wo nur ein Haufen aufgetürmten Sandes darauf verweist, dass auch hier Behausungen entstehen sollen.
In gleissendes Licht getauchte, scheinbar willkürlich gestreute, sich farblich kaum abzeichnende Rohbauten tummeln sich inmitten des Wüstensandes – Bauklötzern gleich, von Kindern im Sandkasten zurückgelassen oder von einem Architekten modellhaft skizziert.
Hier geht es um Entwürfe.
Und eine Werbetafel auf einem der Bilder zeigt, wie der dahinterliegende Rohbau einmal aussehen wird.
Hoch wird er sein und auch die Palme wird nicht fehlen.
Gerade und hochgewachsen soll sie bis über die vierte Etage ragen – Wachstum verheissend.
Und jetzt wird deutlicher, worum es hier auch gehen könnte.
All diese seriellen Bausteine, diese Stückchen Grünes und Teer inmitten von Sand sehen irgendwie unwirklich aus.
Sie könnten auch schlicht Kulisse sein.
Für einen Film über die Auswirkungen von Korruption, Inflation und der damit verbundenen Verarmung und Ohnmacht?
Oder für einen Film über die Sehnsucht, dass sich Verheissung, Versprechen und Träume doch einlösen könnten?
In ihrem rohen, unfertigen Zustand bleiben all diese Areale jedenfalls vor allem eines:
Projektions-Flächen.
Und damit knüpft diese Arbeit direkt an andere fotografische Langzeitprojekte an:
Seien es Kamels Strassenszenen, seine Details in privaten Wohnräumen, seine Familienportraits oder die umfassende Untersuchung des Hochzeitsrituals in Ober-, Mittel- und Unterschicht.
In all diesen Arbeiten setzt sich Kamel auch mit dem scheinbar unerschöpflichen Raum für Projektionen (und ihrer Vermarktung) auseinander.

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